Gedanken zu Jane McAleveys Vorstellungen zum Aufbau von Gewerkschaftsmacht
Die Umkehrung des "Modells"
KIM MOODY
November 8, 2020
Wenn Jane McAlevey über Organizing spricht, hören die Leute zu. Im Herbst 2019 führte McAlevey über Zoom eine Organizingschulung mit Übersetzung für rund 1.400 Personen in vierundvierzig Ländern durch. Als sie unter den Bedingungen der Covid-19-Isolation weitere wöchentliche Sitzungen veranstaltete, loggten sich über 3.000 Menschen ein. Angesichts der Tatsache, dass sich die organisierte Arbeiterschaft weltweit im Niedergang und in einer Krise befindet, ist es kein Wunder, dass sich so viele siegeshungrige Führer*innen, Aktivist*innen und Sympathisant*innen einschalteten, um zu hören, wie diese erfahrene Gewerkschafterin ihr Heilmittel gegen die seit langem bestehenden Leiden der Arbeiterschaft erläutern konnte. McAlevey, eine Community-Organizerin, die sich zur Gewerkschafts-Organizerin, Akademikerin und Gewerkschaftsberaterin gewandelt hat, hat viel über die Krankheiten der Arbeit und das Handwerk des Organisierens zu sagen. Wer die Zoom-Reihe verpasst hat, kann in den drei Büchern, die sie in den letzten Jahren geschrieben hat, sehr ausführlich darüber lesen. Anstatt sie einzeln durchzugehen oder zu versuchen, sich mit über 800 Seiten Erzählung auseinanderzusetzen, werde ich versuchen, McAleveys grundlegende Themen, Methoden und Analysen zusammenzufassen und kritisch zu analysieren, wenn auch nicht unbedingt in der Reihenfolge, in der sie in den drei Büchern erschienen sind.
Zuerst ist da McAleveys nützliche Unterscheidung zwischen Organisationen, die sich mit arbeitsrechtlicher Interessenvertretung, Mobilisierung und tatsächlichem Organisieren befassen. Arbeitsrechtliche Interessenvertretung ist das, was NGOs (Nichtregierungsorganisationen) tun, die ihre, typischerweise mittellosen, Klientel nicht wirklich mit einbeziehen, es sei denn, es handelt sich um leicht erreichbare Teilbereiche. Mobilisierung ist die Praxis vieler Gewerkschaften, in denen die Mitglieder gelegentlich für eine Kampagne oder sogar einen Streik aktiviert werden um dann schweigend an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Der Organizer und Dissident der United Auto Workers, Jerry Tucker, nannte dies früher den Hahn, der den Fluss der Arbeiteraktion auf Befehl auf- und zudreht. McAlevey weist diese Perspektive entschieden zurück und besteht darauf, dass Organizing dazu dient, eine dauerhafte, nachhaltige und Macht verschiebende Organisierung des Arbeitsplatzes zu erreichen. Selbstverständlich ist dies ein Grund, warum die Menschen ihr Aufmerksamkeit schenken.
Von zentraler Bedeutung für alle drei Bücher und für ihren Ansatz zur Wiederbelebung der ArbeiterInnenbewegung ist ihr Modell des Organizing. Dieses Modell, und sie beharrt darauf, dass es ein Modell ist, findet sich in schematischer Form in No Shortcuts. Es wird aber in allen Werken mit packenden Geschichten über ihre Erfahrungen als Organizerin, Funktionärin und Beraterin der Gewerkschaften vorgestellt, die das Modell zum Leben erwecken. Es muss erwähnt werden, dass die Organizing-Kampagnen, Vertragsverhandlungen, die sie auf diesen vielen Seiten anführt, im Gegensatz zu vielen anderen in den letzten Jahrzehnten am Ende erfolgreich waren.
Das Modell, für das sie eintritt, existiert nicht im Vakuum. Es steht ausdrücklich im Gegensatz zu dem engeren Ansatz, den sie dem legendären Community Organizer Saul Alinsky zuschreibt, der laut McAlevey bei vielen US-Gewerkschaften eingesetzt wird. Dies ist insbesondere der Fall, seitdem John Sweeney Mitte der 1990er Jahre an der Spitze der AFL-CIO stand und versuchte, eine zusammenbrechende Arbeiterbewegung wiederzubeleben. Es ist auf schmerzliche Weise offensichtlich, dass es nicht funktioniert hat die Dinge für die Arbeiterbewegung umzukehren - weder durch die von oben forcierten Reformen, die von Sweeneys "New Labor", wie sie es nennt, durchgeführt wurden, noch durch teilweise erneuerte Organizing-Taktiken. Das macht McAleveys Organizing-Modell tatsächlich sehr glaubwürdig.
McAlevey unterstreicht, dass der Sinn des Modells in der Aktivierung der Arbeiter*innen besteht, damit sie die Macht, die sie sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Gesellschaft haben, zum Tragen bringen und einsetzen können. Es geht nicht einfach darum, die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder um jeden Preis zu erhöhen, wie es ihr früherer Arbeitgeber, die Service Employees International Union (SEIU), oft als alles entscheidend ansah, sondern darum, die Macht der ArbeiterInnen zu vergrößern. Die Initiative in ihren Beispielen geht von der Organizerin aus, deren Aufgabe es ist, die organischen Führungspersönlichkeiten am Arbeitsplatz zu identifizieren und zu fördern. Dies ist keine einfache Aufgabe. Die organischen Führungskräfte sind nicht unbedingt die ersten Personen, die während einer Organizing-Aktion in den Vordergrund treten, geschweige denn das "Großmaul", das sich manchmal gegen den Chef auflehnt. Vielmehr ist es die Person in der Gruppe, zu der andere in verschiedenen Aspekten des Lebens und am Arbeitsplatz Rat oder Hilfe suchen. Solche natürlichen Führungspersönlichkeiten können gewerkschaftsfeindlich sein, wie sie aus ihrer Erfahrungen weiß, aber es ist die Aufgabe des Organizers, sie nach Möglichkeit für sich zu gewinnen. Die Identifizierung solcher Führungspersönlichkeiten ist nur der erste Schritt. Sie zitiert William Z. Foster, ehemaliger Syndikalist und Führer der Kommunistischen Partei in den 1930er Jahren, in dem Sinne, dass "Organizer*innen nicht instinktiv wissen, wie man organisiert, sondern sorgfältig unterrichtet werden müssen" (No Shortcuts, 33). Die nächste Aufgabe besteht darin, neue Arbeiterinnenführer in Organizing-Methoden auszubilden.
Teil der Schulung der organischen Führungspersönlichkeiten und der Basis im Allgemeinen ist die kontinuierliche Erfassung oder Kartierung des Arbeitsplatzes, um die Stärken und Schwächen der Organisation und der Kampagne zu erkennen. Dies wird zur Grundlage für weitere Aktionen. Daneben gibt es das, was sie "Strukturtests" nennt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eskalierende kollektive Aktionen, die Vertrauen schaffen, Macht demonstrieren und testen und eine solide Mehrheit von etwa 80 Prozent bilden, um eine Gewerkschaftsvertretungswahl zu gewinnen oder schließlich 90 Prozent, um einen siegreichen Streik durchzuführen. Damit einher geht eine "Impfung", bei der die Beschäftigten auf die Lügen und Barrieren vorbereitet werden, die das Management oder die von ihnen angeheuerten gewerkschaftsfeindlichen Truppen einsetzen werden, um die gewerkschaftlichen Bemühungen zu vereiteln. Das alles ist bekannt, zumindest den besseren Gewerkschafts- und BetriebsorganizerInnen. Diese Ideen, ohne den "Jargon" der offiziellen Organizer finden sich in "Secrets of a Successful Organizer" (Geheimnisse eines erfolgreichen Organizerin), herausgegeben von Labor Notes (in deutsch von OKG) und stützt sich auf die Erfahrungen von OrganizerInnen, Aktivisten und Führungspersönlichkeiten am Arbeitsplatz sowie von hauptamtlichem Gewerkschaftspersonal.
Origineller ist McAleveys Herangehensweise an die Phase nach der gewerkschaftlichen Organisierungsphase: die Verhandlungen und die Kampagne, um einen ersten Tarifvertrag zu gewinnen (in Deutschland kann das mit der ersten Betriebsvereinbarung vergleichbar sein d.Ü.). Wie sie betont, ist der Gewinn des ersten Vertrags eine große Hürde, und fast der Hälfte der neuen Gewerkschaften gelingt es nicht, zum Abschluss zu kommen. Die meisten Gewerkschaften trennen die Phase der Vertretung von der Phase der Vertragsverhandlung. Sobald die Gewerkschaft anerkannt ist, werden die Organizer abgezogen und an einen anderen Ort geschickt, und es wird eine neue Mannschaft professioneller Verhandlungsführer zusammen mit Anwälten hinzugezogen. Schließlich ist die Aushandlung eines Vertrags heutzutage kompliziert. McAlevey argumentiert überzeugend, dass die beiden Phasen kontinuierlich und personell miteinander verbunden sein müssen - zum einen, weil die Organizer offenbar das Vertrauen der Beschäftigten gewonnen haben. Zum anderen hören die Arbeitgeber und ihre skrupellosen Handlanger nicht auf zu kämpfen, zu lügen und Steine in den Weg zu legen, sobald die Verhandlungen beginnen. Ganz im Gegenteil.
McAlevey beharrt nicht nur darauf, dass die Organizer weiterhin den Kampf führen müssen, sondern dass die Verhandlungen für alle Mitglieder offen sein sollten. Viele Gewerkschaften haben "Verhandlungskomitees", aber diese bleiben bekanntlich im Saal oder im Nebenraum und sind gezwungen, sich mit Pizza zu versorgen, während die Funktionäre und Anwälte die eigentlichen Verhandlungen führen. McAlevey bringt die Arbeiter*innen und ihre Anführer*innen mit in die Verhandlung. Einige sind darauf vorbereitet, Forderungen vorzutragen; viele kommen und gehen zur Mittags- oder Pausenzeit. Die schockierten Gesichter des Managements, die sie beschreibt, und ihr wirkungsloser Protest gegen solche unkonventionellen Interventionen bauen die Solidarität der Arbeiter*innen auf. Für Leser*innen, die so etwas noch nicht erlebt haben, sind ihre Beschreibungen eine hervorragende Lektüre.
McAlevey argumentiert, dass all diese Organizing-Techniken in einem strategischen Kontext entwickelt werden müssen. Einfach auf zufällige "Hot Shops" zu reagieren, in denen sich Arbeiterinnen und Arbeiter an eine Gewerkschaft wenden, um Hilfe zu erhalten, wird die Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht ausreichend erweitern, um einen Wandel herbeizuführen (No Shortcuts, 202-3). Gewerkschaftskampagnen sollten bestimmte Arbeitsbereiche oder Regionen fokussieren. Sie betont insbesondere die Dienstleistungsbranchen, die nicht ins Ausland verlagert werden können, vor allem das Bildungs- und Gesundheitswesen, das eng mit den Interessen der Bevölkerung verknüpft ist. Ihre eigene Erfahrung im Organizing im Gesundheitswesen ist ein Beispiel für eine industrielle Ausrichtung. Bei solchen strategischen Kampagnen können sich erfahrene Organizer zum Beispiel "auf Beschäftigte in derselben Gewerkschaft, aber in einer anderen gewerkschaftlich organisierten Einrichtung stützen, die Erfahrung mit dem Sieg bei schwer zu gewinnenden NLRB [National Labor Relations Board] Wahlen und großen Streiks haben...". (Eine Tarifverhandlung, 158-9). Diese strategische Schwerpunktsetzung erscheint sinnvoll, lässt aber sicherlich viele unorganisierte Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht zu dieser Strategie passen, aus dem Blickfeld.
Trotz der bildhaften Erzählung und der guten Anregungen wurde mir beim Durchlesen dieser drei Bücher immer bewusster, dass McAlevey in praktisch jeder Phase des Gewerkschaftslebens die Betonung auf die Initiative des professionellen Organizers (oder Funktionärs oder Beraters) legt. Obwohl ich vor einigen Jahren mit McAlevey in einer Diskussionsrunde war und ihre Rede gehört hatte, hatte ich diese konsequente, manchmal übergreifende Betonung der Dominanz von professionellen Organizer*innen bei Vertretungswahlen, Tarifkampagnen und sogar Streiks nicht wahrgenommen. Trotz meiner eigenen langjährigen Betonung der Initiative und Macht der Basis, wie die meisten Menschen, die sich mit der Zukunft der Gewerkschaften befassen, erkenne ich an, dass diese Organizer ein wichtiger Teil der Arbeiterbewegung sind. Ich habe früher sogar eine Zeit lang selbst als solcher gearbeitet. Sie werden oft an die vordersten Fronten der Kämpfe mit dem Kapital gedrängt, bringen persönliche Opfer und helfen in der Tat den Arbeiter*innen dabei, sich zu organisieren, um eine Vertretung zu erlangen, einen ersten Vertrag zu gewinnen, einen erfolgreichen Streik zu führen und manchmal eine betriebliche Organisation aufzubauen. Um fair zu sein, greift McAlevey in No Short Cuts die von einigen Gewerkschaftsbürokraten vorgebrachte Vorstellung an, "dass die Arbeiterinnen und Arbeiter häufig gewerkschaftlichen Wachstumsdeals in die Quere kommen" (51). Nichtsdestotrotz ist es die Initiative professioneller Organizer, die in allen drei Büchern immer wieder auftaucht und die zentrale und dominierende Rolle in allen Kampagnen spielt, an denen sie direkt beteiligt ist, und sogar in einigen Fällen, in denen diese Betonung unangebracht ist, wie in ihren Diskussionen über die Lehrergewerkschaften in Chicago (No Shortcuts, 101-42) und Los Angeles. Die Initiative zahlloser "ungeschulter" Organizer am Arbeitsplatz und die Rolle, die die Erfahrung bei ihrer Entwicklung spielt, fehlt im Großen und Ganzen.
Simple Berechnungen und gesunder Menschenverstand gebieten, dass Gewerkschaften unmöglich allein durch die Initiative professioneller Organizer und anderer Mitarbeiter wiederbelebt, demokratisiert und massiv ausgeweitet werden können. Sie können unmöglich alles tun und überall und jeden Tag in einer Bewegung von Millionen von Menschen sein, die versuchen, Dutzende von Millionen zu organisieren. Abgesehen von Misserfolgen führen ihre Erfolge bestenfalls zu allmählichem Wachstum, das nicht einmal mit der sinkenden Mitgliederzahl Schritt halten kann. Selbst die Erhöhung der Zahl solcher Organizer um ein Vielfaches, auch wenn es der Sache dienlich wäre, könnte niemals die Art von exponentiellem Wachstum sowohl in der Zahl als auch in der Macht erzeugen, die erforderlich ist, um das Gleichgewicht der Klassenkräfte zu verschieben, das McAlevey und der Rest von uns verzweifelt anstrebt.
Ohne die tagtägliche Basisinitiative zahlloser unbekannter Organizer am Arbeitsplatz - seien es organische Führungspersönlichkeiten, Aktivisten oder interessierte Mitglieder mit Funktionen, die nicht größer sind als die von Betriebsratsmitgliedern oder örtlichen Gewerkschaftsfunktionären - können Gewerkschaften nicht funktionieren, geschweige denn wachsen. McAleveys Idee, gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen zu benutzen, um sich den Unorganisierten in derselben Branche zu nähern, ist offenkundig eine gute Idee. Aber wenn dies nur der Initiative der zu wenigen, überarbeiteten Organizer überlassen wird, wird es nicht annähernd ausreichen. Noch schlimmer ist es, wenn diese Art des Organizing von Arbeiter*innen und Angestellten nur mit der Zustimmung von Gewerkschaftsspitzen erfolgt, was typischerweise der Fall ist. Dann wird es niemals ausreichen, oder es wird die Art von Initiative darstellen, die die Unorganisierten beeindrucken und ihnen ein Gefühl der Eigenverantwortung in der Gewerkschaft vermitteln kann. Es ist klar, dass es viel mehr Selbsttätigkeit und Initiative der Arbeiterinnen und Arbeiter erfordern wird, wie wir sie in den 1930er Jahren bei den Industriearbeitern oder in den 1960er und 1970er Jahren bei den Angestellten im öffentlichen Dienst gesehen haben, und wie wir sie kürzlich bei den Streiks der Bildungsarbeiterinnen und Bildungsarbeiter 2018-19 gesehen haben, sowie die ersten Anzeichen von Aktionen der Arbeiterinnen und Arbeiter bei Amazon, Instacart, Uber und anderen Ecken der digitalisierenden Wirtschaft inmitten der Covid-19-Pandemie. Auf diese Frage werde ich weiter unten näher eingehen. Um das Problem weiter zu untersuchen, müssen wir uns jedoch ansehen, was McAlevey als die Wurzeln des gewerkschaftlichen Niedergangs während des letzten halben Jahrhunderts ansieht.
"WER TÖTETE DIE GEWERKSCHAFTEN?"
Dies ist der Titel eines Schlüsselkapitels in McAleveys jüngstem Buch, A Collective Bargain: Gewerkschaften, Organizing und der Kampf für Demokratie, das "große Bild" ihrer drei Bücher. Der Großteil ihrer Antwort auf diese Frage ist einfach: Taft-Hartley und nachfolgende Gerichtsentscheidungen, professionelle Gewerkschaftszerstörer und die Globalisierung. Dies alles spielte eine wichtige Rolle dabei, immer neue Hürden gegen die organisierte ArbeiterInnenschaft zu errichten - zumindest in den wenigen Fällen, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter oder eine Gewerkschaft überhaupt versuchen, sich um eine Vertretung zu bemühen. Taft-Hartley verschafft dem Chef einen rechtlichen Vorteil, die Gewerkschaftszerstörer sorgen für den nötigen Druck und die Einschüchterung, während die Globalisierung es den Unternehmern ermöglicht, mit der Abwanderung ins Ausland zu drohen und ihre Betriebe zu schließen. Die Geschichte zeigt, dass diese in der Tat häufig wirksam sind, wenn es darum geht, Organizing-Kampagnen und Tarifkampagnen scheitern zu lassen. Diese Geschichte stimmt insofern, als dass sie die weitaus hartnäckigere Rolle des Managements bei der tagtäglichen Bekämpfung und Demoralisierung von Gewerkschaften und Arbeitnehmern herunterspielt. Sie ist auch die Erklärung der offiziellen Führung der Gewerkschaften für den Niedergang, den Rückzug und die Krise der von ihnen geführten Organisationen. Das Problem an dieser Geschichte ist, dass sie die oberste Führung, die Gewerkschaftsbürokratie, aus der Verantwortung für ihre eigene Rolle in der Krise der organisierten Arbeiterschaft entlässt.
Dies ist keine Frage von guten oder schlechten Menschen. Nicht alle Gewerkschaftsführer sind gleich. Einige sind eindeutig viel besser als andere, und das macht oft den Unterschied. Das Problem liegt in der gesamten Praxis des bürokratischen Wesens der Gewerkschaften, das in den USA während und nach dem Zweiten Weltkrieg am deutlichsten zutage trat. Taft-Hartley und McCarthyismus spielten dabei sicherlich eine Rolle, aber die Gewerkschaftum als Unternehmtum in Theorie und Praxis hatte seine Wurzeln bereits in der Ära von Samuel Gompers und seiner "reinen und einfachen" Vorstellung von Gewerkschaften. Die Verbreitung und Aktualisierung dieser alten Sichtweise nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte jedoch in erster Linie auf der gleichzeitigen Aufgabe des Kampfes um die Kontrolle des Arbeitsplatzes und des Arbeitsprozesses zugunsten der Konzentration auf Löhne und Sozialleistungen - Amerika als "privater Wohlfahrtsstaat". Dies wiederum führte zu einer verstärkten Isolierung der Führung, Verwaltung und Verhandlungsführung von der Mitgliedschaft. Damit einher ging die Abkehr der Gewerkschaften von einer breiteren sozialen Agenda, ihre politische Niederlage und Taft-Hartley. Der Gewerkschaftshistoriker Nelson Lichtenstein hat diese Wende weg von den Bemühungen breite soziale Errungenschaften auf politischer Ebene zu gewinnen, und hin zum privatwirtschaftlichen Wohlfahrtsstaat kontrovers, aber zu Recht, als ein "Produkt der Niederlage, nicht des Sieges" bezeichnet.
Anfang der 1950er Jahre beinhaltete diese Niederlage auch Tarifverhandlungen, die Löhne und Sozialleistungen an die Produktivitätssteigerung (und damit an die Beschleunigung) der Arbeitnehmer koppelten, und in jüngerer Zeit auch die Einführung von produktivitätssteigernden Maßnahmen, schlanke Produktion, extreme Arbeitsstandardisierung, digital gesteuerte Prozesse, Leistungskontrollen und so weiter. Die Aufnahme von "Rechten der Unternehmensleitung" (zur Kontrolle des Arbeitsplatzes) und vertraglich verankerte Friedenspflichten wurden schon vorher in den meisten Abschlüssen zu einem Merkmal von Verhandlungen. Der Kampf um die Arbeitsbedingungen und die Fähigkeit ihrer Mitglieder durch direkte Aktionen Widerstand zu leisten, wurde aufgegeben.
Stattdessen erhielten die Gewerkschaftsmitglieder vielseitige und komplizierte Rechte, die den Beschäftigten aber wichtige Machtquellen raubten. McAlevey steht solchen rechtlichen Verfahren zu Recht kritisch gegenüber, aber erkennt nicht die Wurzeln in diesem grundlegenden Kompromiss mit dem Management. Die Macht auf dem Hallenboden dem Management zu überlassen führte auch dazu das rassistischen Probleme in den gewerkschaftlich organisierten Betrieben ausgeblendet wurden. Das führte unter anderem zum Scheitern der "Operation Dixie", dem Versuch der CIO den Süden in den späten 1940er Jahren zu organisieren, was das Wachstum und die Verhandlungsmacht der Arbeiter weiter untergrub.
All dies führte in den 1960er- und 1970er-Jahren zu einer etwa zehnjährigen Arbeiterrevolte Schwarzer und weißer Arbeiter*innen - oft inspiriert von der Bürgerrechtsbewegung und gekennzeichnet durch Massenkundgebungen, Kundgebungen der Schwarzen, wilde Streiks, Ablehnung von Verträgen und die Ermutigung einer neuen Generation von Industriearbeiter*innen. Mit wenigen Ausnahmen unternahm die Gewerkschaftsführung alles, was in ihrer Macht stand, um diese Rebellion zu zerschlagen und dazu beizutragen, die Energie dieses Aufbruchs abzuschwächen, anstatt sie nutzbar zu machen. Das Wachstum, das die Arbeiterschaft in dieser Zeit erlebte, war weitgehend auf die Eigeninitiative der Beschäftigten des öffentlichen Sektors zurückzuführen, ein Prozess, an dem ich zweimal als ehrenamtlicher Aktivist und Gewerkschaftsführer und einmal als Organizer teilnahm.
Nach dieser gescheiterten Rebellion beschleunigte sich der Rückgang an Mitgliedern, Organisierungsbemühungen, Siege und Streiks. Die Gewerkschaftsführer wandten sich einer Politik der Zugeständnisse zu, bei Löhnen, und Sozialleistungen, Kooperationsprogramme zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurden abgeschlossen, das zweistufige Lohnsystem eingeführt (vergleichbar mit der Wirkung der Leiharbeit in der BRD d.Ü.) und eine zunehmende Abhängigkeit von rechtsgerichteten demokratischen Politikern und Druckmitteln die unabhängig von der Selbsttätigkeit der Arbeiter*innen wirken sollten. Dadurch wurde die Arbeiterbewegung als Ganzes entwaffnet, ohne die Offensive des Kapitals gegen die Gewerkschaften und die Arbeiter im Allgemeinen in irgendeiner Weise zu entkräften. 1979 bezeichnete der Präsident der United Auto Workers, Doug Fraser, die Offensive des Kapitals als "einseitigen Klassenkrieg ".
Zu den Schocks, die den Niedergang der Gewerkschaften und die gesamte neoliberale Ära einleiteten, gehörten die Double-Dip-Rezession von 1980-82, die Millionen von gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen in der Produktion und anderen Bereichen vernichtete. Die Rettungsaktion für Chrysler und die damit verbundenen Zugeständnisse der Gewerkschaften, die die Verhandlungen im Automobilsektor beendeten, wurden für nachkommende Abschlüsse zum Modell und Präzedenzfall für andere Branchen, ebenso wie die Entlassung der streikenden Fluglotsen durch US-Präsident Ronald Reagan. Aber es waren das darauf folgende Verhalten und die Praktiken der Gewerkschaftsführung der großen Gewerkschaften, die mit wenigen Ausnahmen die seit langem bestehenden Neigungen zur Klassenzusammenarbeit weiter institutionalisierten. Dies wiederum hat es noch schwieriger gemacht, die Unorganisierten zu organisieren, eine Seite der Geschichte, die in McAleveys Analyse des gewerkschaftlichen Niedergangs fehlt Gewerkschaften sind widersprüchliche Organisationen. Sie sind sowohl Institutionen als auch soziale Bewegungen, die den Druck des Kapitals auf Löhne und Arbeitsbedingungen bekämpfen sollen. Die Tendenz zur Bürokratisierung der Gewerkschaften ist weder ein Beispiel für Robert Michels "eisernes Gesetz der Oligarchie" noch ein unvermeidliches "Weber'sches" Heilmittel für große Organisationen. Das Problem ergibt sich aus der Verhandlungsposition der Führung, die zwischen den Forderungen des Kapitals nicht nur nach niedrigeren unmittelbaren Kosten, sondern auch nach der langfristigen Rentabilität und dem Überleben des Unternehmens im Strudel des realkapitalistischen Wettbewerbs auf der einen Seite und den Bedürfnissen der Mitglieder auf der anderen Seite gefangen ist. Um mit dieser widersprüchlichen Situation fertig zu werden, neigt die gewählte Führung dazu, sich selbst und ihre institutionellen Ressourcen gegen den Druck der Mitgliedschaft zu isolieren, während sie dennoch gelegentlich diese Mitgliedschaft auffordert, ihr in Verhandlungen die Macht zu geben, die sie braucht, um dem Druck der Unternehmensleitung bis hin zu einem Streik zu widerstehen. Es ist dieses Dilemma, das der "Gewerkschaft", d.h. insbesondere der obersten Führung, den Anschein gibt, eine "dritte Partei" zu sein, wie McAlevey sie in No Shortcuts (96) beschreibt.
McAlevey hat natürlich Recht, dass die Gewerkschaft keine "dritte Partei" ist, wie einige Management-Experten es gerne hinstellen, sondern eine Institution der ArbeiterInnenklasse. Nichtsdestotrotz ist sie eine Institution, die notwendigerweise versucht, die Widersprüche zu lösen, die der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit innewohnen. Dies ist ein Grund dafür, dass fast alle "Reformen" und "neuen" Taktiken der 1990er Jahre und darüber hinaus, die von Funktionären gefördert wurden, Formen des Drucks in den Vordergrund gestellt haben, die die Selbsttätigkeit der Mitglieder umgehen: Unternehmens- und Druck-Kampagnen; die vorgetäuschte Gegenposition von "Organizing"- und "Service"-Modellen; Gewerkschaftsfusionen, die den Anschein von Wachstum bei gleichzeitiger Zunahme der Bürokratie erwecken; der ungeklärte Charakter und die zersplitterten Ressorts der meisten Gewerkschaften, oft ein Ergebnis von Fusionen; die Anwerbung ehemaliger radikaler Studenten statt Mitglieder als Organizer; "Neutralität" oder wie McAlevey sie nennt, " Vereinbarungen über Wahlverfahren" mit dem Management zur Erleichterung des Organizing; die Wahl von Demokraten jeglicher Art auf allen Ebenen, und die wahnsinnige Spaltung der Bewegung mit der Gründung der Change-to-Win-Föderation im Jahr 2005.
Es ist auch eine Tatsache, dass in den meisten Gewerkschaften Organizer gegenüber der Gewerkschaftsfunktionärin, die sie eingestellt hat, rechenschaftspflichtig sind, nicht gegenüber den Mitgliedern oder denen, die sie organisieren. Einige Organizer bewahren sich ein hohes Maß an Autonomie und Initiative, wie McAlevey in ihrer Zeit bei der SEIU in Las Vegas, die sie in „Raising Expectations“ anschaulich beschrieben hat. Nichtsdestotrotz sind Organizer denen gegenüber verantwortlich, die ihre Löhne zahlen, sie dorthin schicken, wo sie sie haben wollen, und ihnen Ressourcen zur Verfügung stellen oder verweigern, damit sie ihren Auftrag ausführen können. Es gibt natürlich kein Gesetz, das besagt, dass Organizer nicht von den Gewerkschaftsmitgliedern genauso wie die Gewerkschaftsführer gewählt werden können, aber das würde selbst im besten Fall gegen den Strich der Gewerkschaftsbosse laufen.
Es gibt eine Alternative oder zumindest eine starke Gegentendenz zu diesem seit langem bestehenden Trend zur Bürokratisierung der Gewerkschaften und zur routinemäßigen Durchführung von Tarifverhandlungen ohne den Einfluss der Mitgliedschaft. Sie liegt in der Gewerkschaftsdemokratie, die sich in erster Linie aus der direkten Demokratie und der Initiative der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ergibt, am häufigsten in Form einer gewählten und kollektiven Organisation am Arbeitsplatz - und nicht nur in Form isolierter Vertrauensleute, die durch die individuelle Fallberatung mit Arbeit zugeschüttet werden. Die "repräsentative Demokratie", die für die meisten Gewerkschaften charakteristisch ist, reicht nicht aus, um Führung und Rechenschaftspflicht der Repräsentanten zu gewährleisten. Das liegt daran, dass sie nur selten eine Wahl haben, innerhalb einer Struktur, in der die amtierenden Gewerkschaftsführer die Kontrolle über Gewerkschaftsressourcen und Kommunikationswege besitzen. In den meisten Fällen sind die Funktionäre in der Lage, eine Maschine oder ein loyales Netzwerk aufzubauen, das stark genug ist, um einen Machtverlust zu verhindern, selbst wenn die Personen an der Spitze von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden. Deshalb ändert es selten etwas Wesentliches, wenn man einfach gegen die amtierenden Führungskräfte vorgeht.
An dieser Stelle kommt die Idee von "Basis"-Bewegungen ins Spiel, die sich auf eine starke Arbeitsplatzorganisation, Gremien und Netzwerke stützen, die die verschiedenen Arbeitsstätten miteinander verbinden. Ich werde dies im Folgenden im Zusammenhang mit McAleveys Diskussion über die Reformbewegungen in den Lehrergewerkschaften von Chicago und Los Angeles sowie über die Zunahme der Lehrerstreiks 2018-19 erörtern. Doch zunächst widmen wir uns dem letzten Punkt in ihrer Erklärung "Wer hat die Gewerkschaften getötet?“ Es handelt sich um eines der wirksamsten Alibis der obersten Führung - die Globalisierung.
IMPORTE, OUTSOURCING UND "DAS ANDERE".
Eine der häufigsten Erklärungen für den Niedergang und die Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung in den Vereinigten Staaten, die von gewerkschaftlichen Organisatoren, Führern und manchmal auch von befreundeten Think Tanks und Akademikern vorgebracht wird, ist der Verlust amerikanischer Arbeitsplätze durch Outsourcing und/oder Auslagerungen nach Übersee. Sicherlich wird mit dem Finger auf die Arbeitgeber gezeigt, die diese Auslagerungen durchführen, aber der Fokus liegt dann zwangsläufig auf dem ausländischen "Fremden". Diese ausländischen Täter haben sich im Laufe der Zeit etwas gewandelt, von den japanischen Stahl- und Autoherstellern in den 1970er und 1980er Jahren über die mexikanischen Maquiladoras in den 1990er und 2000er Jahren bis hin zu den Chinesen, die scheinbar alles herstellen und überall präsent sind, obwohl sie nur ein Fünftel der US-Importe bestreiten. In der Geschichte steckt gerade genug Wahrheit, um glaubwürdig zu sein. Arbeitsplätze in einigen Industriezweigen wie der Textil- und Bekleidungsindustrie wurden durch die Importe praktisch ausgelöscht, während in anderen Bereichen nur die Zuliefererindustrie nach Übersee verlagert wurde.
DIE SACHE MIT DEM STAHL
Eine der Gewerkschaften, die routinemäßig auf Importe als Hauptursache für Arbeitsplatzverluste verweist, sind die United Steelworkers of America (USWA). Die Beschäftigung der Stahlarbeiter ist in der Tat in den letzten vier Jahrzehnten oder länger zurückgegangen, ebenso wie die Mitgliedschaft in der USWA. Die Importe sind ein Faktor für diesen Arbeitsplatzverlust, aber bei weitem nicht die einzige oder sogar die wichtigste Ursache. Ein weiterer Grund ist die Produktivität. Vereinfacht ausgedrückt, sank die Zahl der Beschäftigten in der US-Stahlproduktion zwischen Anfang der 1980er Jahre und 2017 um etwa 6 Prozent, während die für die Produktion einer Tonne Stahl erforderlichen "Arbeitsstunden" um 85 Prozent sanken. Der Hauptgrund dafür war die Zunahme von Ministahlwerken mit elektrischem Lichtbogen (AR), die weitaus weniger Arbeitskräfte pro Tonne benötigen als traditionelle Sauerstoffblasstahlwerke (BOF).
Die Importe stiegen bis in die 1980er Jahre auf etwa ein Viertel des US-Stahlverbrauchs und zwischen 2012 und 2018 auf durchschnittlich 30 Prozent, danach gingen sie wieder auf 25 Prozent zurück. Mini-Walzwerke hingegen sind von 31 Prozent der inländischen Produktion in den 1980er Jahren auf etwa 60 bis 65 Prozent in den letzten beiden Jahrzehnten gestiegen. Das sind etwa 50 Prozent des Gesamtverbrauchs, ein weitaus größerer Anteil als die Importe. Die Beschäftigung in den BOF-Fabriken, in denen fast alle Gewerkschaftsmitglieder arbeiten, ging natürlich im Laufe der Jahre zurück. Es scheint klar zu sein, dass mehr dieser verlorenen gewerkschaftlichen Arbeitsplätze der Produktivitätsteigerung zum Opfer fielen und zum anderen auf die Verlagerung der inländischen Produktion in nicht gewerkschaftlich organisierte Kleinbetriebe und nicht auf Importe. Die USWA unternahm wenig, um sich der Reorganisation der Arbeitsplätze oder der Organisierung der Mini-Mühlen zu widersetzen.
Eines der Probleme bei der Behauptung, dass Importe, einschließlich ausgelagerter Vorleistungen, als Erklärung für den Verlust von gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen angeführt werden können, besteht jedoch darin, dass die US-amerikanische Produktion, gemessen an der Federal Reserve, im neoliberalen Zeitraum von 1982 bis 2019 um etwa 130 Prozent, d.h. im Durchschnitt um satte 3,5 Prozent pro Jahr, gewachsen ist. Selbst wenn die Importe einen erheblichen Teil der US-Produktion in Mitleidenschaft gezogen haben, hätte ein Wachstum in dieser Größenordnung Arbeitsplätze schaffen müssen. Das heißt, Importe könnten erklären, warum die inländische Produktion etwas langsamer wuchs als in der "goldenen" vorglobalen Ära der 1950er und 1960er Jahre, aber sie können nicht für einen so massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie dieser Quantität verantwortlich gemacht werden. Der Grund für dieses Ausmaß des Arbeitsplatzverlustes lag in erster Linie in der doppelten Belastung durch wiederkehrende Rezessionen infolge kapitalistischer Turbulenzen und Produktivitätsgewinne durch die Einführung schlanker Produktions- und Arbeitsrhythmen durch das Management. Das heißt, der widersprüchliche Verlauf der Kapitalakkumulation einerseits und der vom Management geführte Klassenkampf andererseits haben die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie trotz des erheblichen Produktionswachstums drastisch reduziert. Tabelle I zeigt den Verlust von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie während der vier großen Rezessionen der neoliberalen Ära.
Arbeitsplatzabbau im verarbeitenden Gewerbe während der Krisenjahre YEARS* |
|
1979–1982 | 2,751,000 |
1990–1991 | 663,000 |
2001–2003 | 2,198,000 |
2008–2010 | 1,797,000 |
TOTAL | 7,409,000 |
Wenn durch die anhaltende Rezession Arbeitsplätze in monumentalem Ausmaß verloren gehen, verhinderte ein signifikantes Produktivitätswachstum zwischen den Rezessionen die Wiederkehr der überwiegenden Mehrheit dieser Arbeitsplätze, sobald das Wachstum wieder einsetzte. Zwischen 1990 und 2000 stieg die Produktivität in der verarbeitenden Industrie jährlich um 4,1 Prozent, während sie von 2000 bis 2007, kurz vor der Großen Rezession, um durchschnittlich 4,7 Prozent pro Jahr zunahm. Dies reichte aus, um das Beschäftigungswachstum zu bremsen, obwohl die Produktion in der Verarbeitenden Gewerbe zwischen dem Tiefpunkt der Rezession und dem Höhepunkt der konjunkturellen Erholung in den 1980er Jahren (4,1 Prozent) und 1990er Jahren (6,4 Prozent) jährlich deutlich zunahm. Von 2001 bis 2007 wuchs die Produktion im Jahresdurchschnitt nur um 2,8 Prozent, während die Produktivität, die bereits vor der nächsten Rezession rund zwei Millionen Arbeitsplätze kostete, 4,1 Prozent betrug. Von 2009 bis 2019 stieg die Produktion jährlich um 2,4 Prozent, und die Produktivität nahm um etwa 2,5 Prozent zu, so dass die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie nur langsam um etwa 1 Prozent pro Jahr zunahm, hauptsächlich bei Arbeitsplätzen mit geringerer Produktivität. Die Bereitschaft der Gewerkschaftsführer zur Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die Akzeptanz von schlanker Produktion und arbeitsintensiver Technologie, die dieses Produktivitätsniveau ermöglichten, kosteten Millionen von Arbeitsplätzen.
Wenn man all diese Arbeitsplatzverluste der "Globalisierung" zuschreibt, ist die Gewerkschaftsbürokratie auf zwei schändliche Arten aus dem Schneider. Erstens verstärkt sie die Art von Gewerkschafts-Nationalismus, der den ausländischen "anderen" und nicht den heimischen Chef als Schuldigen sieht. Am schlimmsten kommt dies in dem Slogan "Buy American" in den 1970er und 1980er Jahren zum Ausdruck, ein anhaltendes Gefühl, das Trump effektiv ausgespielt hat. Selbst in seiner liberalsten Form, in der z.B. manchmal Bedenken über die negativen Auswirkungen der NAFTA auf die mexikanischen Arbeiter in den Maquiladora-Werken geäußert werden, fördert dieser Ansatz immer noch nationalistische Gefühle und legt den Kampf für sichere und menschenwürdige Arbeitsplätze aus den Händen der Arbeiter in die der Lobbyisten und des Gesetzgebers, die diese Flut ausländischer Waren mit "fairem Handel" eindämmen sollen.
Zweitens: Während selbst die stärksten Gewerkschaften mit den besten Führungspersönlichkeiten im Rahmen von Tarifverhandlungen wenig gegen die Neigung des Kapitalismus zu immer wiederkehrenden Krisen tun konnten, hätten sie sicherlich viel gegen die Arbeitsverdichtung infolge von Lean Production und gegen die Leistungskontrolle 4.0 tun können, die die Rettung von Arbeitsplätzen zwischen Rezessionen verhinderte. Stattdessen haben sich die meisten Gewerkschaftsführungen auf höchster Ebene fast vier Jahrzehnte lang für eine gemeinsame "Problemlösung" und sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit, für Lohn- und Leistungszugeständnisse, Streikvermeidungstaktiken, einseitige politische Abhängigkeit, anknüpfend an nationalistische Deutungsmuster und einer ihnen eigene Form der Abgrenzung zur Mitgliedschaft eingesetzt. In diesen Büchern konzentrierte sich McAleveys Kritik an dieser Art von Gewerkschaftsführern - jahrzehntelang die Norm - in erster Linie auf Andy Stern und seine Mitarbeiter auf der nationalen Ebene der SEIU. Trotz all ihrer Verachtung für einige andere Spitzenführer und "ahnungslose" Gewerkschaften lässt McAlevey die Mehrheit der heutigen Gewerkschaftsfunktionäre in all diesen Punkten ungeschoren davonkommen.
CIO "MODELL"?
McAlevey sieht ihre Methode des Organizing in dem "Modell der hohen Partizipation des CIO, das in tiefer Arbeitersolidarität und kooperativem Engagement im Klassenkampf verankert ist" (No Shortcuts, 30). Obwohl hohe Partizipation und Solidarität sicherlich zentral für die Entstehung der neuen Industriegewerkschaften der 1930er Jahre waren, die schließlich den US-amerikanischen Gewerkschaftsbund (CIO) bildeten, ist es gelinde gesagt weit hergeholt, die Ereignisse, die zu diesem Modell führten, als "Modell" zu bezeichnen. Dieser turbulente Aufschwung hatte wenig Ähnlichkeit mit einer gut organisierten und durchgeführten Wahl betrieblicher Interessenvertretungen oder einer Vereinbarung dazu, einer Tarifverhandlungskampagne oder gar den "Modellstreiks" wie sie McAlevey beschreibt. Vielmehr ging er aus einer von der Basis initiierten Massenstreikbewegung hervor, die 1933 begann, als sich die Zahl der Streiks mehr als verdoppelte und die der Streikenden um mehr als das Dreieinhalbfache zunahm, die meisten ohne offizielle gewerkschaftliche Führung. Diese ungeordnete Streikwelle setzte sich bis zu ihrem Höhepunkt im Jahr 1937 fort, als der Sieg der unkonventionellen und illegalen Sitzstreiks der Beschäftigten von General Motors das Blatt zugunsten der neuen Gewerkschaften wendete.
Der Verlauf der Ereignisse, die zu diesem Sieg führten, ähnelt weder dem Modell McAleveys noch dem der meisten Stellvertreterkämpfe der letzten Jahrzehnte. Wie ich in der Einleitung zur Neuauflage von Sidney Fines klassischem Sit-Down geschrieben habe:
Der Ablauf der Ereignisse in Flint 1936-37 war genau umgekehrt: die Gewerkschaft am Arbeitsplatz unter den beitrittswilligen Personen aufbauen, auch mit einer Minderheitsmitgliedschaft planmäßig vorgehen, die Macht der Gewerkschaft demonstrieren, Anerkennung und Verhandlungen gewinnen und eine Mehrheit rekrutieren.
Ich behaupte nicht, dass dies unter den heutigen Umständen notwendigerweise funktionieren muss, aber wenn sich die Umstände ändern, könnte sich auch die Art und Weise und die Reihenfolge ändern, in der sich die Arbeiterinnen und Arbeiter organisieren. Wie die Automobilität kann das Organizing in "Modellen" veraltet sein.
Während der ersten etwa drei Jahre des Aufschwungs Anfang der 1930er Jahre führten die bisher noch nicht bekannten oder entwickelten "organische Führungspersonen" und Aktivisten in Hunderten von Bergwerken, Mühlen und Fabriken ihre Arbeitskollegen in Aktion und Organisation, ohne auf die Ankunft der professionellen Organizer zu warten. Dies war selbst dann der Fall, als John L. Lewis 1933 seine (oft linken) Organizer*innen in Erwartung der Verabschiedung von Franklin Delano Roosevelts Abschnitt 7(a) des National Industrial Relations Act (NIRA), der das Recht auf Organizing gewährte, in die Kohlereviere schickte. Wie jüngste Forschungen der Historiker Michael Goldfield und Cody Melcher gezeigt haben, berichteten seine Organizer 1933, dass "sich die Bergleute aus eigener Kraft organisiert hatten". Diese Autoren kamen zu dem Schluss, dass "die Bergarbeiter, oft unter der Führung von Radikalen und ohne die Unterstützung des UMWA selbst, vor dem Durchgang der NIRA 1933 praktisch jedes Bergwerk organisiert hatten". Ähnliches galt für die Stahlarbeiter, von denen 1933 eine Zeit lang 150.000 die alten Amalgamated Iron and Steelworkers allein überfluteten und 37.000 drei Jahre lang streikten, bevor Lewis 1936 das Steel Workers Organizing Committee (SWOC) gründete. Dies war umso mehr in anderen Branchen wie der Automobil-, Kunststoff- und Elektroindustrie der Fall, in denen es keine bestehende nationale Gewerkschaft gab - bestenfalls gab es die Federal Locals der AFL, die sich schnell als unfähig erwiesen und von den Arbeitern sich selbst überlassen wurden.
Als der Aufschwung der Automobilität im Massenumfang 1933-35 begann, waren die kommunistischen Organizer Bob Travis und Wyndam Mortimer, die McAlevey zitiert, und die sozialistischen Aktivisten und Organisatoren, die sie nicht kennt - Kermit Johnson (in Chevy 4) und Roy Reuther (Travis' Assistent 1936-37) - in verschiedenen Werken im Mittleren Westen auf der Flucht. Während Travis in Toledo, Mortimer in Cleveland und Reuther in Detroit bereits als Leiter und Organizer an ihren Arbeitsplätzen tätig waren, wurden sie erst Mitarbeiter in Flint, nachdem sich die Automobilarbeiter im gesamten Mittleren Westen fast drei Jahre lang zu einer Bewegung formierten. Mit anderen Worten, die "organischen Führer" und Aktivisten dieser Ära traten von sich aus als Organizer (manchmal als Teil arbeitnehmerorientierter politischer Tendenzen) auf, lange bevor es hauptamtliche Organisatoren gab. Zusammen mit der Schlüsselrolle, die die radikalen Führungskräfte am Arbeitsplatz spielten, war die Geburtsstunde des CIO ein klassisches Beispiel für die kollektive Selbsttätigkeit der Arbeitnehmer.
Insbesondere schreibt McAlevey ihre Organizing-Techniken der Hospital Workers' Union Local 1199 zu, die vor der Fusion einer Mehrheit ihrer Ortsgewerkschaften mit der SEIU im Jahr 1998 bestand. Obwohl ihre direkte Erfahrung bei 1199 New England, das sich auf Connecticut und Rhode Island erstreckt, gemacht wurde, führt sie das Organizing-Modell auf die Gründung der Gewerkschaft Local 1199 in New York unter der Leitung von Leon Davis zurück. Die Local 1199 ist unter anderem für seine Kampfkraft, den untypischen sozialen Unionismus, das Kulturprogramm "Brot und Rosen", die Bündnisarbeit mit der Bürgerrechtsbewegung und die Unterstützung durch Martin Luther King, Jr. bekannt. Die Gründungsvorsitzenden des Ortsverbandes 1199, Leon Davis und Elliott Godoff, waren Kommunisten, die in den 1930er Jahren ursprünglich eine Vereinigung von Apothekern gegründet hatten. Die von Kommunisten geführte Gewerkschaft organisierte dann ab den späten 1950er Jahren Krankenhausmitarbeiter in New York City, bevor die im Fernsehen übertragenen Prozesse gegen den McCarthyismus und das Komitee für unamerikanische Aktivitäten des Repräsentantenhauses von den Wogen einer neuen Ära der Revolte vollständig hinweggefegt worden waren - eine echte Errungenschaft.
Die spätere Geschichte von dieser Organisation lässt jedoch nicht erkennen, dass eine demokratische Gewerkschaft bei der Ausbildung von Führungskräften an der Basis, zumindest oberhalb der Ebene der Betriebsdelegierten (Vertrauensleute), besondere Kompetenz besitzt. Als Davis 1982 in den Ruhestand trat, stürzte die Gewerkschaft in ein Jahrzehnt der Führungskrise, da sich zunächst die handverlesene Nachfolgerin von Davis, Doris Turner, und dann ihre Nachfolgerin, Georgiana Johnson, als unvorbereitet und unfähig erwiesen, die Gewerkschaft zu führen oder zu einer Einheit zu formen. Dies lag vor allem daran, dass ihnen wenig Führungserfahrung und Verantwortung übertragen worden war, die zu lange in den Händen von Davis und anderen Spitzenführern verblieben. Diese Geschichte wurde ausführlich in Upheaval in the Quiet Zone erzählt, einer Geschichte von Leon Fink und Brian Greenberg, die seltsamerweise von McAlevey empfohlen wird (No Shortcuts, 84). Dabei stellte sich heraus, dass die Gewerkschaft trotz ihres Wahlverfahrens mit einem Delegierten pro fünfundzwanzig Beschäftigten nur einen Delegierten stellte.
Die 1199 war weder eine besonders demokratische Gewerkschaft, noch versuchte sie, über die Art der Arbeitsorganisation im Krankenhaus zu verhandeln, oder wie Fink und Greenberg es ausdrückten, "drängte sie keine Forderungen nach einer Neuorganisation der Arbeit auf" und beschränkte ihre Verhandlungen auf Löhne und Leistungen. In beiderlei Hinsicht war sie trotz ihrer Militanz und der Merkmale der sozialen Bewegung ziemlich konventionell in ihrer Organisations- und Verhandlungspraxis. Es handelte sich in der Tat um eine Gewerkschaft mit einer stark zentralisierten Führung in der Person von Leon Davis, der sagte:
"Die Mitglieder können nur ein Resonanzboden sein, selbst die Delegierten... können keine Entscheidungen treffen... Die Idee der Weisheit, die von unten kommt, ist voller Scheiße, nicht weil sie dumm sind, sondern weil sie einen Job haben, der nicht darin besteht, die Gewerkschaft zu verwalten und das komplizierte Geschäft zu kennen. Folglich ist ihre Fähigkeit, Initiativen zu ergreifen, begrenzt."
Dies ist natürlich die übliche, unausgesprochene Annahme von Gewerkschaftsführern in der gesamten amerikanischen Arbeiterbewegung. Dies ist der zentrale Faktor bei der Entwicklung echter Führungsqualitäten, die in den meisten Gewerkschaftskulturen nicht über die routinemäßige Ausbildung von Vertrauensleuten hinausgeht, und der Grund dafür, dass Führungswechsel trotz Wahlen meist eine Frage des Managements sind. Im Fall der 1199 führte dies nicht nur zu einem Jahrzehnt des internen Chaos und Rassenkonflikts, sondern auch dazu, dass sich diese Gewerkschaft schließlich der noch bürokratischeren Struktur und der bizarren Führung der SEIU unter Andy Stern unterordnete. Ironischerweise bedeutet diese Art von allzu typischer Führung von oben nach unten auch, dass all diese "organischen Organisatoren" am Arbeitsplatz nie wirklich die Möglichkeit haben, über das Einreichen von Beschwerden hinaus die Initiative zu ergreifen oder von den "Komplexitäten" zu erfahren, die das Monopol des inneren Heiligtums bilden.
Das bedeutet nicht, dass das von McAlevey vorgeschlagene "Organizing-Modell" im heutigen begrenzten Kontext per se falsch ist. Es bedeutet jedoch, dass es allein nicht ausreicht, um die Art demokratischer, arbeitsplatzbasierter, von den Mitgliedern geführter Gewerkschaften wie die der frühen CIOs hervorzubringen, die erforderlich sind, um das was nötig ist zu tun, zu expandieren und die Grundlage für größere politische Veränderungen zu schaffen. Es sollte offensichtlich sein, dass es den meisten der heutigen Gewerkschaften in den USA nicht gelungen ist, zu wachsen und erfolgreich zu sein, weil sie bürokratisch nicht in der Lage sind, die kollektive Macht der Mitglieder über den Rahmen konventioneller Tarifverhandlungen und ebenso konventioneller Streikstrategien und -taktiken hinaus zu entfalten. Es gibt Ausnahmen bei einer Reihe von effektiven Streiks der letzten Jahre oder sogar über einen längeren Zeitraum hinweg, aber es sind eben nur Ausnahmen. Heutzutage braucht es viel mehr, um einen Streik zu gewinnen, als nur die von McAlevey vorgeschlagene Beteiligung von 90 Prozent zu erreichen. Dann stellt sich die Frage, eine Frage, die McAlevey trotz ihrer Diskussion über die Lehrerstreiks in West Virginia, Chicago und Los Angeles nicht angeht: Wie sollen wir unsere Gewerkschaften für den Klassenkampf tauglich machen in einer Zeit, in der die Kräfte, die sich gegen die ArbeiterInnen richten, massiver denn je sind?
Mit anderen Worten: Wie sollen wir die meisten der heutigen bürokratischen Gewerkschaften in demokratische Organisationen mit wirklich rechenschaftspflichtigen Funktionären und Mitarbeitern umwandeln? Wie sollen wir die kollektive Macht der Mitgliedschaft über eine gelegentliche "Beteiligung" hinaus gewinnen? Wie erreichen wir, dass es is Gewerkschaften, in denen die ArbeiterInnenführer am Arbeitsplatz die Kontrolle haben dürfen, eine Kultur der Debatte und des Widerspruchs statt der Konformität im Namen der "Einheit" gibt und dass eine Atmosphäre entsteht, in der die Initiative der Basis im Kampf mit dem Kapital gefördert wird? Es gibt zahlreiche Beispiele für Bemühungen, Gewerkschaften zu demokratisieren und ihre Fähigkeit zum Kampf gegen den Boss zu verbessern. Diese reichen von groß angelegten Bestrebungen wie der Teamster-Reformbewegung, die 2017 fast die Hoffa-Bürokratie stürzte, bis hin zu einer Vielzahl von lokalen Bürgerinitiativen und Bewegungen, deren bekanntestes Beispiel natürlich die Koalition der Pädagogen (Coalition of Rank-and-File Educators - CORE) ist, die 2010 die alte Garde der Chicagoer Lehrergewerkschaft stürzte. Was sagt McAlevey denn zu diesem und anderen Aspekten des demokratischen Aufschwungs von LehrerInnenkämpfen und Organizing in den letzten Jahren?
UMKEHRUNG DES "MODELLS“
Es wäre heutzutage undenkbar, ein Buch über die US-Gewerkschaften zu schreiben, ohne über die Rebellion der großen Lehrer von 2018-2020 zu berichten. Zwar stellt McAlevey dies nicht als den branchenweiten Aufschwung dar, zu dem er geworden ist, aber sie behandelt den Bildungsarbeiterstreik in West Virginia und die Reformbewegungen in der Chicagoer Lehrergewerkschaft (CTU) und der United Teachers of Los Angeles (UTLA). Meiner Meinung nach haben diese wichtigen Kämpfe mehr mit dem wirklichen Aufschwung des CIO von 1933 bis 1937 und dem der Beschäftigten des öffentlichen Sektors und der einfachen Rebellen in den 1960er und 1970er Jahren zu tun als die meisten Gewerkschaftskämpfe heutzutage. Es waren Kämpfe, die in erster Linie nicht von professionellen Organisatoren initiiert, organisiert und geführt wurden, sondern von Arbeitern, die, wie Leon Davis es so unfein formulierte, "eine Aufgabe hatten, die nicht in der Führung der Gewerkschaft bestand", aber dennoch Organizer im vollen Sinne des Wortes waren. Erst nachdem sie die Wahl für Spitzenpositionen gewonnen und den Prozess der Umwandlung der Gewerkschaft eingeleitet hatten, stellten sie hauptamtliche Organizer ein, um die Gewerkschaft zu festigen und die nachfolgenden Streiks vorzubereiten.
Trotz all der anstrengenden Stunden, die Lehrer heutzutage sowohl in der Schule als auch außerhalb der Schule verbringen, gelang es diesen selbstgewählten Führern und Aktivisten, Basisgruppen, kommunale Bündnissen, stärkere Arbeitsplatzorganisationen und Massenstreiks zu organisieren, die das amerikanische Bildungssystem durchzogen. Graswurzelgewerkschafter*innen aus West Virginia und einem halben Dutzend anderer "roter" Bundesstaaten und die Übernahmen der Gewerkschaftsgliederungen durch betriebliche Kerne in Chicago (CORE), Los Angeles (UTLA) und teilweise in Massachusetts haben das Bild der Lehrergewerkschaft in wenigen Jahren dramatisch verändert.
Es ist daher bemerkenswert, dass im Fall der Beispiele von Chicago und Los Angeles, die McAlevey diskutiert, die Reihenfolge ihres "Modells" verkehrt ist. Zunächst organisieren sich die ungeschulten einfachen Arbeiter, führen eine Reihe von Kämpfen und übernehmen die Macht. Erst dann werden die hauptamtlichen Organizer eingestellt, von denen die meisten aus den Reihen kommen und keine formale Ausbildung (No Shortcuts, 120-1; und A Collective Bargain, 199), aber eine Menge Erfahrung haben. In diesen und vielen anderen Beispielen war es tatsächlich "die von unten kommende Erfahrung", die den Kampf und die Transformation und Demokratisierung der Gewerkschaft ermöglichte. McAlevey weiß natürlich, dass Arbeiterinnen und Arbeiter im Laufe des Kampfes Führungsfähigkeiten entwickeln können, aber für sie scheint dies etwas Ungewöhnliches und "Außergewöhnliches" zu sein. Sie schreibt über die Arbeiter*innen in der Verpackungsanlage von Smithfield in North Carolina mit einem Ton von Überraschung: "Wie die Geschichte dieses Kampfes zeigen wird, hat die Intensität des vorangegangenen Kampfes einige der Arbeiterführer aufgrund ihrer Kampferfahrung außerordentlich geschickt gemacht" (No Shortcuts, 154-5). Dieser Kampf beinhaltete zwei wilde Massenstreiks im Jahr 2006, die von den eingewanderten lateinamerikanischen Arbeitern in der Fabrik angeführt wurden, bevor der Organizer der UFCW eintraf.
Das "Modell", das McAlevey vorschlägt, ist weniger eine Neuauflage des Aufstiegs des historischen CIOs als vielmehr ein Versuch, den im Wesentlichen hinderlichen und routinierten Wagner Act/Taft-Hartley-Rahmen der Arbeitsbeziehungen bis an seine Grenzen auszudehnen. Jahrzehntelang wurde die Initiative in diesem Zusammenhang jedoch durch eine Kombination aus der Monopolisierung echter Entscheidungsfindung an der Spitze, der routinierten Behandlung von Verhandlungen und Konflikten im Betrieb, dem zeremoniellen und langatmigen Charakter der meisten Gewerkschaftssitzungen und -kongresse gedämpft und durch die durch die wirtschaftliche Unsicherheit der neoliberalen Ära erzeugte Angst weiter gelähmt. Die Ersetzung einer größeren und qualifizierteren Initiative der Organizer allein kann diesen routinierten institutionellen Rahmen nicht rückgängig machen.
In diesem Zusammenhang lässt sich der Versuch, effektivere Wege der Organisierung und des Kampfes zu finden, auf die Debatte über Organizing zurückführen, die in den 1990er Jahren begann und durch Siege wie die Kampagne "Gerechtigkeit für Hausmeister" in Los Angeles 1990 und den Aufstieg von John Sweenys "New Voice"-Team 1995 inspiriert wurde. Sie wurde in den Werken von Kate Bronfenbrenner, Tom Juravich, Ruth Needleman, Bruce Nissen, Bill Fletcher, Jr. und vielen anderen sowie durch LaborNotes und den von ihnen veröffentlichten Büchern weitergeführt. Mindestens zwei Schlussfolgerungen ergaben sich aus dieser Forschung und Debatte in Bezug auf gewerkschaftliche Initiativen: Die Beteiligung der Mitglieder am Organizing führte zu mehr Repräsentationsgewinnen, und die Unterstützung der Gewerkschaften vor Ort kann einen Unterschied machen; das heißt, wenn diese Praktiken selbst nicht einfach nur zu routinierteren Ritualen oder vorübergehenden "Mobilisierungen" in einer "Strategie" von oben nach unten werden, wie es oft geschieht.
Unabhängig von ihren tatsächlichen Ursprüngen ergänzen die von McAlevey vorgeschlagenen Ideen die besten dieser Schlussfolgerungen. Sie wurden und werden benutzt, um von Zeit zu Zeit Siege zu erringen. Doch selbst zusammengenommen haben all diese Innovationen im Organizing die Dinge nicht zum Guten gewendet. Im Gegenteil, sie haben bestenfalls zum Widerstand der Nachhut gegen den fortgesetzten Rückzug der amerikanischen Arbeiter angesichts der unerbittlichen Aggression der Arbeitgeber beigetragen. Wir müssen uns fragen, ob sie sowohl für die Bedingungen als auch für die Möglichkeiten, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben und nun Gestalt annehmen, ausreichend sind. Wenn nicht, worauf können wir aufbauen, was einen tatsächlichen Unterschied machen könnte?
In der US-amerikanischen Arbeiterbewegung und dem Kontext, in dem sie in den letzten drei oder vier Jahrzehnten ums Überleben gekämpft hat, hat sich viel verändert. Die Arbeiterklasse und die Gewerkschaftsmitglieder sind ethnisch vielfältiger zusammengesetzt, und Frauen spielen in beiden eine viel größere Rolle. Die meisten Gewerkschaften haben nach Mitte der 1980er Jahre die einwandererfeindlichen Positionen, die sie oft vor der beschleunigten Einwanderung eingenommen hatten, aufgegeben. Gleichzeitig hat sich das Wesen der Arbeit und des Arbeitsprozesses erneut von einer einfachen, schlanken Produktion zu einer digital gesteuerten Herrschaft der Superstandardisierung (Frederick Taylor würde vor Neid erblassen), Kontrolle und Arbeitsverdichtung gewandelt. Dieser Wandel umfasst heute praktisch alle Arten von Arbeit. Die zunehmende Tendenz der gebildeten "Millennials ", in die Arbeiterklasse heruntergedrückt zu werden, bringt eine neue Kraftquelle, aber auch Unsicherheit über die eigene soziale oder Klassenidentität mit sich. Die vielfältigen Verbindungen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen wurden durch die Entwicklung einer globalen, informationsgetriebenen Logistikinfrastruktur verschärft, die es nicht einmal zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts gab.
All dies kann erdrückend erscheinen, doch einige dieser Veränderungen bieten auch neue Möglichkeiten für die Organisierung und das Handeln der Arbeiterklasse. Die Verdichtung der Arbeit und der Beziehungen zwischen den Arbeitsplätzen, zwischen Waren- und Dienstleistungsproduzenten und ihren wichtigsten Knotenpunkten in den großen städtischen und großstädtischen Gebieten hat die Arbeitgeber verwundbarer gemacht. McAlevey merkt dies kurz an, aber es ist ein Aspekt des zeitgenössischen Kapitalismus, der als strategischen Rahmen eine analytische Entwicklung erfordert. Die Abwärtsbewegung so vieler "Jahrtausende" bringt den digitalisierten, manchmal atypischen oder plattformgebundenen Arbeitsplätzen etwas neue Energie von jüngeren Arbeitern, die sich nicht so sehr von den heutigen Lehrerrebellen unterscheiden. Gleichzeitig geben die zunehmende ethnische Vielfalt und die wachsende Rolle der Frauen den heutigen Kämpfen oft einen repräsentativeren, universelleren und solidarischeren Charakter als viele derer in früheren Epochen.
Was sich jedoch als die wichtigste Entwicklung bei der Entstehung einer erneuerten Arbeiterbewegung erweisen könnte, ist die Zunahme der Selbsttätigkeit der Arbeiter. Wie David McNally gezeigt hat, hat dies weltweit zunehmend die Form von Massenstreiks vieler verschiedener Gruppen von Arbeitern und anderen angenommen, was ein wichtiges Zeichen für den Wandel der Zeiten ist. In den USA ist die Lehrerbewegung das offensichtlichste Beispiel dafür, aber es zeigt sich auch in der Zunahme der kämpferischen Haltung der KrankenpflegerInnen und des Gewerkschaftwesens insgesamt. Direkte Aktionen von Arbeitsmigranten gehen auf den "Tag ohne Immigranten" von 2006 zurück, über den McAlevey von Smithfield Streiks spricht. Aber sie treten fast ununterbrochen in unverhofften Bereichen der Gesellschaft auf, wie z.B. kleine Aktionen bei Amazon, aber auch größere in den traditionellen "Weiden des Überflusses", wie den Apfelplantagen des Staates Washington.
Am vielleicht unerwartesten sind natürlich die vielen Anzeichen für die Selbsttätigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich inmitten der Zwillingskrisen einer erneuten Rezession und Depression und der Covid-19-Pandemie, die sie beschleunigt hat, herausgebildet haben. Die Streikenden haben Schutzausrüstung, bezahlte Freistellung und andere Sicherheitsmaßnahmen gefordert. Die gewerkschaftlich organisierten Busfahrer in Detroit und die Beschäftigten in Briggs und Stratton in Milwaukee streiken für mehr Sicherheit. Nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte streikten bei Instacart, Whole Foods, Walmart, Target und Fed Ex. Die Beschäftigten bei Amazon zum Beispiel sind dorthin gegangen, wo die traditionellen Gewerkschaften nur voller Furcht auftreten. Zahllose kleinere Aktionen haben zudem gezeigt, dass die Beschäftigten selbst aktiv sind. Die von den Arbeitern initiierte Organisation Amazonians United hat sich in einem "tiefen Organizing", wie sie es nennen, engagiert, indem sie Einheimische im ganzen Land und Kontakte in der ganzen Welt gebildet und sich auf kleine Aktionen mit einem Ansatz gestützt hat, bei dem es keine professionellen Organizer gibt, was wiederum McAleveys Ordnung der Dinge durcheinander bringt.
Auch wenn es von gewerkschaftlichen Initiativen weit entfernt zu sein scheint, stellen selbst die weit verbreiteten Massenproteste gegen den Polizeimord an George Floyd in Minneapolis eine Form der Selbsttätigkeit dar, die wahrscheinlich Ereignisse beeinflussen wird, die über den unmittelbaren Fokus auf die Tiefe des Rassismus und der Polizeibrutalität in den USA hinausgehen. Aufstände, Proteste und Unruhen in den Städten waren ein wesentlicher Bestandteil der Rebellion der 1960er und 1970er Jahre. Schwarze Arbeiter, die sich in Die Straßen von Detroit im Jahr 1967 waren diejenigen, die 1967 zuschlugen und in den folgenden Jahren schwarze oder integrative Wahlausschüsse in den Autofabriken bildeten. Meine eigenen Erfahrungen sowohl beim Organizing im öffentlichen Sektor in den 1960er Jahren als auch bei der Arbeit in den Betrieben und bei einem sehr langen Streik der Telefonarbeiter Anfang der 1970er Jahre haben mich davon überzeugt, dass die militanten Aktionen der Schwarzen das Denken und Handeln sowohl der Schwarzen als auch der weißen Arbeiter in dieser Zeit beeinflusst haben.
Darüber hinaus waren die Proteste und Ausschreitungen als Reaktion auf den Mord an George Floyd sichtbarer rassenübergreifend als in den 1960er Jahren oder sogar in Ferguson. In größerem Maße als bei früheren Protesten und Unruhen wegen der Polizistenmorde an Schwarzen hatten diejenigen, die George Floyd ermordet haben, mehr gewerkschaftliche Unterstützung, einschließlich gewerkschaftlicher Busfahrer, die sich weigerten, Gefangene für die Polizei in New York und anderswo zu transportieren. Auf der anderen Seite hörten viele Spitzenpolitiker, darunter Rich Trumka von der AFL-CIO, auf, die Polizei-"Gewerkschaften" wegen ihrer Komplizenschaft für die Verteidigung von Killerbullen zu kritisieren.
Aus dem US-Amerikanischen übersetzt, erschienen im Spectre-Journal „
Reversing the “Model”. THOUGHTS ON JANE MCALEVEY’S PLAN FOR UNION POWER
Aus dem US-Amerikanischen übersetzt, erschienen im Spectre-Journal:
Reversing the “Model”. THOUGHTS ON JANE MCALEVEY’S PLAN FOR UNION POWER