Interview zur Tagung: "Just put the movement back"?

Kirsten Huckenbeck im Gespräch mit »Organisieren. Kämpfen. Gewinnen«

zuerst erschienen in: express 8/9 2019

 

Am 26./27. Oktober findet in Kassel die zweite Konferenz von OKG – »Organisieren, Kämpfen, Gewinnen« – statt. Die 2014 gegründete Gruppe, die sich eher als Netzwerk in Ausbreitung begreift und sich vorgenommen hat, in die Fußstapfen der US-Zeitschrift Labor Notes zu treten, will »betrieblich Aktiven, Menschen aus Solidaritätskreisen und interessierten GewerkschafterInnen Raum bieten, um über Herausforderungen und Erfolge in der eigenen Arbeit für eine unbequeme, lebendige und solidarische Gewerkschaftsarbeit zu diskutieren – und voneinander zu lernen«. Den verheißungsvollen Dreiklang OKG aufgreifend, sprachen wir mit Yanira Wolf und Michael Heldt vom OKG-Team über das Selbst- und Gewerkschaftsverständnis des Netzwerks, Ergebnisse ihrer bisherigen und Schwerpunkte kommender Arbeit und über ihr Verhältnis zu anderen Initiativen mit ähnlichem Anliegen – nicht zuletzt aber auch über die Hoffnungen auf ein Organizing-›Renewal‹, die sich derzeit an Jane McAleveys »Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing« heften. Der Kreis der OKG-OrganisatorInnen hatte 2018 die Labor Notes-Publikation »Secrets of a Successful Organizer« übersetzt und bietet selbst neben Beratung und Bildung auch Organizing-Seminare an.

 

KH: Fallen wir mit der Tür ins Haus: Ihr wollt als OKG eine »Ressource für Aktivistinnen und Aktivisten in den Betrieben und Gewerkschaften werden, die die Angriffe der UnternehmerInnen, die weitere Prekarisierung und die Krise unserer Gewerkschaften bekämpfen wollen«. Wollen das die Gewerkschaften nicht auch? Ist das nicht ursprüngliche Gewerkschaftsaufgabe? Warum ein eigenes Netzwerk?

 

Yanira: Wir sind ja auch kein Ersatz für Gewerkschaften, sondern Teil der Gewerkschaftsbewegung. Insofern: Ja, das ist ursprüngliche Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Wenn Ihr so wollt: Wir sehen uns als Teil der Strömungen der Gewerkschaftsbewegung, die glauben, dass wir keinen Frieden mit dem Management schließen oder sogar bessere Manager sein sollten, sondern autonom unsere Interessen am Arbeitsplatz vertreten sollten.

Aber Hand aufs Herz: Wir machen das auch in einer sozialistischen Perspektive. Wir wollen dazu beitragen, eine klassenkämpferische Gewerkschaftsbewegung neu aufzubauen. Durch Workshops und unsere Konferenz, in denen sich KollegInnen aus verschiedenen Betrieben auch kennenlernen und vernetzen können. Und durch unsere Publikationen.

Und nein, das wollen »die« Gewerkschaften nicht. Weil es »die« Gewerkschaften ja gar nicht gibt. Wir streiten uns bei uns im Betrieb und in der Gewerkschaft ja in der Regel mit KollegInnen und Hauptamtlichen über den richtigen Weg. Wir würden behaupten, dass in den Gewerkschaften immer noch eher sozialpartnerschaftliche Politik und Stellvertretertum vorherrscht. Und demgegenüber sollten wir ein Netzwerk aus Störenfrieden in den Betrieben aufbauen. Dabei können auch kluge Hauptamtliche eine Rolle spielen. Aber um es zuzuspitzen: Sie können, wie auch wir, eine dienende Rolle spielen, im Mittelpunkt sollten die KollegInnen selbst stehen.

 

KH: »Schwung in die ArbeiterInnenbewegung bringen«, so lautet ein wichtiger Programmpunkt auf Eurer Konferenz im Oktober. Das ist eine fast wörtliche Übersetzung des Labor Notes-Slogans »Put the movement back in the labor movement«, dem die Zeitschrift publizistisch und mit ihren nun schon seit drei Dekaden alle zwei Jahre stattfindenden, mittlerweile von tausenden gewerkschaftlich Aktiven besuchten Konferenzen in den USA gerecht zu werden versucht. In Deutschland scheint diese Rolle die RLS mit ihren Streikkonferenzen übernommen zu haben. Auch hier: Wie seht Ihr Euer Verhältnis zum RLS-Angebot, warum braucht es eine OKG-Tagung?

 

Michael: In einem freundschaftlichen Verhältnis. Wir treten den Leuten, die das organisieren, sicherlich nicht zu nahe, wenn wir sagen, dass sie ein Netzwerk um die Partei DIE LINKE aufbauen. Das machen wir nicht, ganz bewusst nicht. Wir glauben, dass es nötig ist, parteiunabhängig zu sein. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe, ein ganz pragmatischer: Nach unserer Erfahrung gibt es 20mal mehr aufmüpfige KollegInnen als aufmüpfige KollegInnen, die sich mit der LINKEN identifizieren würden. Wir finden aber, dessen ungeachtet, dass es spannende Workshops und vieles mehr auf den RLS-Konferenzen gibt.

 

Wir haben unsere erste Konferenz 2017 außerdem so angelegt, dass dort KollegInnen aus den Betrieben im Mittelpunkt standen – indem wir entsprechend eingeladen und die Workshops vorbereitet haben. Da liegt unser Schwerpunkt: bei den KollegInnen aus den Betrieben.

Und sicherlich haben wir auch einen etwas anderen politischen Anspruch. Ihr habt ja Labor Notes erwähnt, denen wir uns sehr verbunden fühlen. Sicher, wir haben nicht deren Reichweite und Größe, aber wir arbeiten mit ihnen zusammen und sehen uns als ihre kleine Schwester in Deutschland. Und als kleine Schwester stehen wir ebenfalls in der Tradition eines Sozialismus von unten – was eben nicht Bindung an eine Organisation bedeutet.

 

KH: Und wie seht Ihr Euer Verhältnis zur »Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken«, die just dieses Jahr einen neuen Anlauf zur Revitalisierung unternommen hatte und dabei ganz ähnliche Ziele wie Ihr mit Eurer Konferenz verfolgt?

Yanira: Wir sagten ja schon, wir sehen uns als Teil einer breiteren Strömung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Deshalb finden wir es auch gut, wenn sich da jetzt was Neues tut. Zur Strategiekonferenz der Initiative im kommenden Jahr haben wir deshalb auch mit aufgerufen und an Vorbereitungstreffen teilgenommen. Insofern haben wir ein solidarisches Verhältnis.

Bevor wir OKG gegründet haben, haben wir uns die Initiative auch angeguckt. Unser Eindruck war damals, dass in der Initiative politische Positionierungen zu dieser oder jener Volte der Gewerkschaftsführungen eine größere Rolle spielten, als wir das für richtig halten. Wenn man die Programme der Strategiekonferenz und der OKG-Konferenz nebeneinanderlegt, dann springen die Unterschiede auch ins Auge. Wir konzentrieren unsere Arbeit auf die Frage, wie wir heute und morgen kämpferische Kerne in den Betrieben neu aufbauen und wie wir sie miteinander vernetzen können. Das ist auch der Fokus unserer Konferenz. Die Strategiekonferenz der »Gewerkschaftslinken« geht viel »politischer« heran, wenn man so will. Aber auch das muss man nicht tottheoretisieren. Wir sehen auch Überschneidungen.

 

KH: Ihr bietet auf der Konferenz neben Organizing-Modulen, in denen es um Handwerkszeug gehen soll, Workshops zu betrieblichen Kämpfen an, darunter die Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen von FlugbegleiterInnen bei Ryanair, um Outsourcing bei den Delivery-Gesellschaften der Deutschen Post, um Befristungen an der Hochschule Kassel, um die Prekärität bei Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora oder den Pflegenotstand in Krankenhäusern. All das sind spannende Kämpfe, die das Spektrum der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen deutlich machen. Da im Post-Bereich einer Eurer ersten Arbeitsschwerpunkte lag, zu dem Ihr auch ein großes Vernetzungstreffen organisiert hattet: Könnt Ihr erzählen, was Ihr mit dem OKG-Bündnis erreicht habt und was hier die aktuellen Herausforderungen sind?

Michael: Worauf wir ein bisschen stolz sind: Wir haben es geschafft, einen Ort zu bieten, an dem ein Teil der KollegInnen, die nach dem überraschenden Einlenken von ver.di im vierwöchigen Streik gegen die Gründung einer Billigtochter für PaketbotInnen frustriert waren – manche haben da auch von Verrat gesprochen –, sich austauschen und den Frust aufarbeiten konnten. Außerdem haben wir daran mitgewirkt, dass es in Nordhessen eine Vernetzung der DHL-KollegInnen mit den Streikenden bei Amazon gab. Das fanden wir sehr wichtig. Und dann gab es ja auch noch einen Branchenworkshop bei der Konferenz 2017. Eine dauerhaftere Organisierung ist daraus erstmal nicht entstanden, aber das können wir auch nicht tragen, sondern nur anregen und Unterstützung anbieten. Letztlich liegt es dann bei den KollegInnen.

Herausforderungen gibt es viele. Die erste ist rein gewerkschaftspolitisch: Die Post ist ein Konzern, der die Leute sich kaputt schuften lässt und sich dann über Personalmangel beklagt. Wir glauben nicht, dass ver.di als Gesamtorganisation überhaupt den Ansatz einer Antwort auf das hat, was das Unternehmen tut. Da bleibt ver.di arg sozialpartnerschaftlich. Wir haben im Mai ein Interview mit einem Aktiven von DHL-Delivery veröffentlicht. Dort haben die Kollegen einen anderen Ansatz ausprobiert. Und es ist ihnen gelungen, z.B. andere Arbeitszeitregelungen durchzusetzen. Durch die Wiedereingliederung in den Konzern wird die jetzt unterlaufen. Zu dieser Art offensiver Betriebsratsarbeit wird es auf unserer Herbstkonferenz auch einen Workshop geben, auf den wir uns besonders freuen.

 

KH:. In dem Workshop zu »AfD und Co im Betrieb« habt Ihr KollegInnen von Daimler Untertürkheim und Aktive aus der IGM eingeladen, um über den Versuch der Rechten zu beraten, sich in Betrieben zu verankern und den »gewerkschaftlichen Grundgedanken der Solidarität und des Zusammenhalts gegen die Geschäftsleitung« anzugreifen. Lässt sich das angesichts der Wahlerfolge in Betrieben und zuletzt in den Landtagen und angesichts eines runden Drittels abrufbar rechtsextremer Einstellungen, auch unter GewerkschafterInnen und unorganisierten ArbeiterInnen, noch als ein ›von außen‹ kommender Versuch begreifen, unter LohnarbeiterInnen Fuß zu fassen? Ist das überhaupt als Machtproblem zu begreifen?

Yanira: Klar ist das eine Machtfrage. Weil es nochmal einen Unterschied macht, ob es unter den KollegInnen größere Minderheiten gibt, die Überzeugungen haben, die wir ablehnen – die wir also überzeugen müssen; oder ob Rechte in Betriebsräten und Gewerkschaften Fuß fassen. Im ersten Fall müssen wir die Leute überzeugen – wenn es Rechtsextreme und Faschisten sind, dann auch bekämpfen. Aber sie spalten die Klasse nicht organisiert. Wenn sie Betriebsräte dominieren und in Gewerkschaftsgliederungen Fuß fassen sollten, dann spalten sie aber ganz aktiv. Und zwar sowohl im Betrieb als auch in der gesamten Bewegung.

 

KH: Damit zurück zum Organizing: Jane McAlevey tourt mit ihren Workshops und Global Online Lectures, die am 29. Oktober starten1, im wahrsten Sinne des Wortes durch die Welt, ihr Buch »Keine halben Sachen« (vgl. die Besprechung von Slave Cubela in dieser Ausgabe) wird auch in deutschen Gewerkschafts- und Organizingkreisen stark rezipiert. Was haltet Ihr von ihrem Ansatz, insbesondere von ihrem Machtbegriff und von der Vorstellung, der Erfolg von »deep organizing« hänge von »organic leaders« ab?

Michael: Wir haben das Buch gelesen und waren erstmal überrascht von dem Hype, weil McAlevey größtenteils Sachen aufgeschrieben hat, die auch von anderen aufgeschrieben wurden, die kein Top-Down-Organizing wollen. Aber Originalität ist nicht entscheidend, Organisierung von unten wollen wir auch und auch einen nachhaltigen Aufbau von Macht in den Betrieben. Das finden wir alles gut. Nach unserer eigenen Erfahrung ist es auch richtig, dass es in fast allen Organisierungen Führungsfiguren gibt, ohne die es nicht vorangeht. Sei es, weil sie besonders aufopferungsvoll sind, sei es, weil sie bestimmte Qualitäten haben: Leuten zuhören können, sie motivieren, aber auch mal den Rücken für andere gerade machen. Also Leute, die einerseits die anderen ermutigen, andererseits aber auch mal vorangehen, wenn es brenzlig ist. Was dann daraus wird, ist offen. Wir wollen als OKG genau mit solchen Leuten zusammenarbeiten.

Aber da fängt unsere Hauptmeinungsverschiedenheit mit dem Buch an, vielleicht auch eher mit der Rezeption des Buches. Ein bisschen wird ja suggeriert, dass das nun der Weg zur Wiederbelebung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung ist. Klar, wir glauben auch, dass Organisierung von unten ein notwendiger Schritt ist. Aber eine Demokratisierung der Gewerkschaften folgt alleine daraus nicht, selbst wenn es gutes Organizing ist. Dafür braucht es mehr. Dafür braucht es u.a. eine Vernetzung der der KollegInnen über Betrieb, Branche und Einzelgewerkschaften hinaus; und dafür braucht es eine offensive Diskussion darüber, wie wir gegen Co-Management und Anpassung vorankommen. Wir denken natürlich, dass wir als OKG einen wichtigen Beitrag dazu leisten können. Ob uns McAlevey-Organizing jetzt voranbringen wird, werden wir sehen. In der Praxis ist es ja durchaus so, dass es ein Outsourcing des Organizings aus den Gewerkschaften gibt und Dienstleister dafür angestellt werden. Selbst wenn die dann deep organizing propagieren würden, ist ja diese Form der »Lean-Gewerkschaft« eher ein Beitrag zur Entdemokratisierung unserer Bewegung.

Herzlichen Dank für das Gespräch und eine produktive Konferenz!

 

Anmerkung:

1)     www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/ELDFI/wie-wi-lernen-kaempfe-zu-gewinnen/

 

express im Netz unter: www.express-afp.info

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